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Die Eröffnungsrede der Frankfurter Buchmesse 2025 von Nora Haddada

Die letzten zwei Jahre waren, und ich denke, das gilt für viele meiner Generation, in vielerlei Hinsicht eine Zäsur. Während die 2000er, in denen ich groß geworden bin, eine Zeit der absoluten Trägheit waren — im Positiven mit der Stabilität die sie erzeugt, im Negativen mit der gefühlten Unmöglichkeit von dringend benötigter Veränderung — begann uns um 2016 herum langsam zu dämmern: Shit is going down. Seitdem ist viel passiert: 

In Deutschland etwa wurde langsam aber sicher die Grenze des Sagbaren nach rechts immer weiter ausgeweitet, während man links immer mehr verhandelt hat, was man nicht sagen kann. Die Liberal-Bürgerlichen fanden mal so mal so, waren aber immer ganz sicher, dass sie richtig liegen. Dann kam Covid, da denunzierten einige Deutsche schon ihre Nachbarn, weil sie mit fünf statt mit vier Leuten im Garten saßen. Dann griff Russland die Ukraine an und es gab aggressive Debatten über Wehrpflicht. Und dann kam der grausame Terrorüberfall der Hamas am 7. Oktober, und der (Achtung, ich sag’s) Genozid in Gaza; und eine öffentliche Reaktion in Deutschland, die man nicht anders als eine Diskurs-Psychose bezeichnen kann. 

Und spätestens dann, nachdem wir hier in Deutschland beobachten konnten, wie große Teile der Medienlandschaft zwei Jahre lang gegen internationale Kritik einerseits versucht hat die Verbrechen in Gaza zu verteidigen und Kleinzureden, und wie Rechte, Konservative und Progressive Politiker immer autoritärer wurden; wie sie die Kunstfreiheit, die Versammlungsfreiheit und die Wissenschaftsfreiheit einschränkten, und wie diese Entwicklung weitaus weniger leidenschaftlich diskutiert wurde als die Verwendung dieses oder jenen Wortes, da dachte ich mir dann: Shit is really going down. 

Für mich war das die eigentliche Zäsur: Nicht nur der autoritäre Turn selbst, sondern wie lächerlich einfach und schnell er stattgefunden hat, wie gering der Widerstand des Großteils der öffentlichen Akteure war und wie einfach und schnell Einschüchterung hierzulande funktioniert hat. Und wie gut sie auch bei mir funktioniert hat: Ich hatte Angst. (Ich habe Angst, gerade jetzt.) Dabei war es eine Zäsur, weil so greifbar wurde, was wegen genau dieser Angst möglich war, und was in so einem Klima möglich sein wird. Natürlich gab es andere Stimmen, das ist klar, aber ich will heute näher auf das Schweigen eingehen, denn das war größer: Denn mehr, wie ich vermute, aus vorauseilendem Gehorsam als aus Überzeugung, haben auch wenige deutsche Autoren die Stimme erhoben. Weder zu dem Grauen in Gaza, noch zu der medialen und politischen Willkür und Gehässigkeit, dem seine Kritiker ausgesetzt waren. 

Das fand ich deswegen so erschreckend — und jetzt komme ich zum optimistischen Teil der Rede — weil ich die ganze Zeit dachte: Wir sind Autoren, wir haben doch eh nichts zu verlieren. Und in meiner Generation sowieso nicht: Unsere Elterngeneration rennt offenen Auges in die Klimakatastrophe. Wir halten ein dysfunktionales Finanzsystem aufrecht, das uns früher oder später massiv um die Ohren fliegen wird. Wir bereiten uns nicht darauf vor, dass die Boomer in Rente gehen und wir verweigern Migration, wir sollen vielleicht auch noch in den Krieg, und so weiter: Kurz: Wir sind sowieso am Sack. Und das hat auch was Gutes, wirklich. Denn wenn wir das einmal verstanden haben, werden wir auch verstehen, wie frei wir sind: You can’t kill us, we’re already dead. 

Und dazu, (ja, ich weiß, es ist kitschig, aber sei’s drum) haben wir immerhin all die Dinge, die alle Menschen immer hatten und die uns auch niemand nehmen kann: Wir haben Freundschaft, wir haben Liebe, wir haben Schönheit und wir haben Humor. Kurz: Wir haben Literatur. 

Es ist doch so: Während andere Kunstformen, wie etwa Film und Bildende Kunst, wirklich viel Geld brauchen, brauchen wir Schriftsteller eigentlich wenig, außer essen, ein paar Drinks und eine Wohnung. Wir brauchen kein Geld vom Staat und wir brauchen auch kein Geld von Milliardären. Wir sind billig. Wir sind broke. Und das ist großartig.  In autoritären Zeiten besteht unsere Stärke als Literaturschaffende exakt darin, dass wir a) nichts brauchen und b) nichts zu verlieren haben.

Daher gibt es keinen Grund für uns Zuhause rumzusitzen und uns zu fürchten, dass uns das BKM im nächsten Jahr vielleicht die Förderung nicht gibt, die wir wahrscheinlich sowieso nicht bekommen hätten. Man könnte jetzt lange darüber sinnieren, warum man in Deutschland so besonders ängstlich ist, aber am Ende des Tages hilft alles Verständnis und Analyse nicht über die simple Tatsache hinweg, dass Angst der Kleine Bruder von Feigheit ist, und wenige Dinge so schlecht gegen Autoritarismus schützen wie Feigheit. 

Verstehen Sie mich nicht falsch, ich sage das mit Liebe. Denn eine weitere gute Nachricht ist: Wir müssen nicht feige sein. Wir können provozieren. Wir haben kluge Schreiber. Und kluge Leser. Wir haben Verlage, die Privatinstitutionen sind, und die mit Skandalen eigentlich keine Probleme haben sollten. Und; ich kann es nicht oft genug sagen: Shit is going down anyways; warum sich so klein machen? Wir haben mehr zu gewinnen, als zu verlieren. 

Und, wir haben mit Literatur eine Waffe in der Hand, die gegen so viele oft beschriebene negativen gesellschaftliche Trends so gut gewappnet ist. Gegen Autoritarismus und Zensur ist sie gewappnet, weil wir aus der Literaturgeschichte die Mittel haben, Kritik zu tarnen. Sagen zu können, was wir sagen wollen, ohne, dass man es uns nachweisen kann. In einer Zeit der Beschleunigung, und des hektischen, hysterischen Denkens, sind wir die langsame Kunstform, die in Zurückgezogenheit produziert und in Zurückgezogenheit konsumiert wird, die Zeit braucht, die Raum gibt zum Nachdenken, zum Kritisieren, zum Hinterfragen - ein wunderbares Gegengift gegen einen Informationshagel, der einem kaum Zeit gibt zu fragen, was man selbst eigentlich denkt. Wir sind eine der (ich will uns ja nicht zu sehr schmeicheln, aber sagen wir was alle denken: die) intellektuellste Kunst; die Rhetorik und Ideologie sichtbar machen kann; die der zunehmenden Infantilisierung und dem Antiintellektualismus entgegenwirken kann, die die Grundlage von Entmündigung sind. Wir sind in einer Zeit der Filterblasen und Dämonisierung ein Medium, dass verschiedene Realitäten nebeneinander stellen kann; dass Empathie mit verschiedenen Positionen und Empathie lehren kann. Literatur ist auch ein Ort, wo wir hart miteinander sein können, und hart miteinander sein sollten, aber mit Liebe hart sein können und mit Liebe hart sein sollen. 

Und das ist, genau in Zeiten wie diesen, nicht nur eine gigantische Chance, und ein Privileg, es ist auch eine Verantwortung. Aber aus all diesen Gründen bin ich sehr froh, heute hier mit euch sein zu können und die Fähigkeiten und Möglichkeiten der Literatur zu feiern. In der Hoffnung, dass wir sie erkennen und nicht pessimistisch über Verkaufszahlen, oder Relevanzverlust sind, sondern stolz auf die Möglichkeit, eine unkorrumpierbare, furchtlose und integre Stimme zu sein, die, when shit down geht sagen kann: Nicht mit uns. 

VIELEN DANK 

Blaue Romanze
Nora Haddada

Blaue Romanze

Gebundene Ausgabe24,00 *
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Olga Blackbird
© Olga Blackbird
Nora Haddada

Nora Haddada, geboren 1998 in Neunkirchen (Saar), studierte Kreatives Schreiben und Literaturwissenschaft in Hildesheim, Berlin und Paris. Ihr Debütroman »Nichts in den Pflanzen« erschien 2023 bei ecco. Sie lebt in Berlin und Paris. 

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